Grau: Eine Lebensgeschichte aus einem untergegangenen Land by Sergej Lochthofen

Grau: Eine Lebensgeschichte aus einem untergegangenen Land by Sergej Lochthofen

Autor:Sergej Lochthofen [Lochthofen, Sergej]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: DDR, Biografien & Erinnerungen, Deutsche Geschichte
ISBN: 9783644038219
Google: PWZlBAAAQBAJ
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2014-12-23T05:00:00+00:00


VII

Der Mann musterte mich aufmerksam. Von oben nach unten, und von unten nach oben.

Für den Bruchteil einer Sekunde dachte ich, es wäre etwas an mir, das ihn verwirrte. Meine Kleidung konnte es nicht sein. An diesem ersten Tag in der Lokalredaktion Gotha hatte ich extra auf die ausgewaschene Jeans verzichtet und mich in den nagelneuen Levis-Anzug gezwängt. Es war eines der schönsten Geschenke meiner Oma Paula. Da sie in ihrem Gelsenkirchen keinen passenden Laden wusste, wurde Karl, der Freund des Vaters, in die Spur geschickt. Er hatte den Auftrag, die und keine anderen mitzubringen. Als alter KPD-Kämpfer schüttelte Karl über den dekadenten Spross von Lorenz nur den Kopf: Der Junge war offensichtlich den Imperialisten auf den Leim gegangen. Als gäbe es im Arbeiter-und-Bauern-Staat nicht genug Hosen. Sein Verdacht wurde durch die Auskünfte der Verkäuferin am Ende der Frankfurter «Zeil» nur bestätigt.

«Ach, solche Anfragen aus dem Osten haben wir oft.» Sie schaute auf Karls Zettel mit Angaben zu Größe und Marke. «Die drüben kennen sich besser aus als die meisten hier.»

Karl wusste genau, der Klassenfeind war eine gerissene Kreatur und hatte es auf die sozialistische Jugend abgesehen. Beim nächsten Kuraufenthalt in Bad Liebenstein wollte er den Vater stellen. Doch der winkte ab.

«Lass ihn. Wenn unsere zu blöde sind, eine ordentliche Hose zu nähen, kann man ihnen nicht helfen. Wenn du hier bist, trinkst du ja auch nur deinen mitgebrachten Kaffee. Und weißt auch, warum.» Karl machte eine süßsaure Miene. «Weil er besser schmeckt. Weil du dich daran gewöhnt hast. Weil du genug dafür getan hast, es dir heute gut schmecken zu lassen. Im Gestapo-Keller gab es keinen. Oder?»



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